Roman Streit gewinnt 2020 eine ETH-Medaille für seine hervorragende Doktorarbeit «Gemeinnütziger Wohnungsbau und Innenentwicklung»! Wir gratulieren!

In der Schweiz stehen einer deutlich wachsenden Bevölkerung knappe Flächenressourcen für die Siedlungsentwicklung gegenüber. Die haushälterische Nutzung des Bodens stellt eine Verfassungsaufgabe dar und wurde durch die Revision des Raumplanungsgesetzes vom Schweizer Stimmvolk 2013 bekräftigt.

von Philipp Neff

Nichtsdestotrotz findet weiterhin ein deutliches Wachstum der bebauten Flächen statt. Dies widerspricht einer konsequenten Umsetzung der raumplanerischen Strategie der Innenentwicklung, welche die Lenkung der Siedlungsentwicklung prioritär auf bereits bebaute Gebiete vorsieht. Parallel dazu führt die weiterhin hohe Nachfrage in gut erschlossenen Städten sowie deren Umfeld vielerorts zu steigenden Wohnkosten und einem deutlichen Unterangebot an preisgünstigem Wohnraum. Gleichzeitig sehen verschiedene Raumplanungsinstrumente vor, einen Grossteil des künftigen Bevölkerungs- und Arbeitsplatzwachstums auf urbane und suburbane Gebiete zu lenken.

Innerhalb dieses Spannungsfelds kommt gemeinnützigen Bauträgerschaften eine hohe Relevanz zu, da sie die Mietpreise auf Basis der anfallenden Kosten für den Bau, Unterhalt sowie die Erneuerung ihrer Liegenschaften festlegen und daher besonders auf längere Frist wesentlich günstigere Wohnungen anbieten als renditeorientierte Wohnbauakteure. Die Bedeutung des gemeinnützigen Wohnbausektors geht aber über den Aspekt der Preisgünstigkeit hinaus. Besonders bedeutsame Zusammenhänge finden sich – so die Hypothese – mit der Strategie der Innenentwicklung. Sie wurden durch die Erarbeitung einer schweizweiten räumlichen Übersicht zu den gemeinnützigen Siedlungsbeständen sowie der Beurteilung von deren Innenentwicklungspotenzial untersucht. Die wichtigsten Erkenntnisse daraus sind:

  • In der Schweiz befindet sich rund jede 20. Wohnung im Eigentum einer gemeinnützigen Bauträgerschaft. Die gemeinnützigen Siedlungsbestände konzentrieren sich dabei hauptsächlich auf städtische Lagen und sind mehrheitlich gut bis sehr gut mit dem öffentlichen Verkehr erschlossen. Vielfach treten die Siedlungen ausserdem räumlich gebündelt auf und verfügen über ein hohes Gebäudealter, wodurch eine quartiersorientierte, parzellenübergreifende Weiterentwicklung begünstigt wird. Die Bestände weisen dadurch aus raumplanerischer Sicht insgesamt eine grosse Eignung für eine künftige Erhöhung der Bau- und Nutzerdichte auf.
  • Die Verdichtung der Bestände ist gleichzeitig mit Herausforderungen verbunden: Zum einen sind nicht alle gemeinnützigen Siedlungen für eine bauliche Weiterentwicklung geeignet – insbesondere aus Gründen des Denkmalschutzes. Zum anderen sind wichtige Rahmenbedingungen für eine zukunftsgerichtete Weiterentwicklung der Bestände noch nicht überall gegeben. Diese umfassen neben kaum beeinflussbaren Umständen wie der grundsätzlichen Nachfragesituation insbesondere Aspekte der Organisationsstruktur und Förderung der Bauträgerschaften. So fehlen manchen Organisationen Ressourcen und Knowhow für die strategische Weiterentwicklung ihres Liegenschaftsbestandes und die Wachstumsanreize in den Wohnbaufördermassnahmen von Seiten der öffentlichen Hand sind teilweise zu schwach ausgeprägt.
  • Die Abschätzung zu den Geschossflächenreserven zeigt, dass der aktuelle gemeinnützige Marktanteil von 4 bis 6 % am Wohnungsbestand der Schweiz angesichts der Bevölkerungsprognosen allein über die Verdichtung der eigenen Bestände kaum gehalten werden kann. Dies selbst bei hoher Mobilisierungsrate der Reserven und teilweiser Erhöhung der derzeit baurechtlich zulässigen Dichte. Eine stärkere Beteiligung des gemeinnützigen Sektors bei anderen Innenentwicklungsmöglichkeiten wie der Umnutzung von Brachen oder dem Neubau auf unbebauter Fläche ist für die Marktanteilsstabilisierung notwendig.
  • Statistiken zum Altbestand wie auch zu neueren Projekten gemeinnütziger Bauträger zeigen die vergleichsweise ressourcenschonende Bodennutzung dieses Sektors. Die Bewohnerschaft nimmt im Schnitt deutlich weniger Wohnfläche in Anspruch als diejenige von anderen Miet- oder Eigentumswohnungen, wobei Vorgaben zur Mindestbelegung eine wichtige Rolle spielen. Zudem zeigt die bereits erfolgte Umsetzung von Verdichtungsmassnahmen im gemeinnützigen Bestand – vorwiegend in der Stadt Zürich – den Beitrag dieses Wohnbausektors für die Umsetzung der Innenentwicklung, wobei den Faktoren Akzeptanz der Dichte sowie Gewährleistung von Qualität hinsichtlich gestalterischen, ökologischen und sozialen Aspekten eine zentrale Bedeutung zukommt.
  • Als wichtige akzeptanzfördernde Elemente im Hinblick auf Verdichtungsmassnahmen konnten im gemeinnützigen Wohnungsbau die Preisgünstigkeit des Wohnangebots sowie die vielfach demokratisch ausgestaltete Entscheidungsstruktur der Bauträgerschaften identifiziert werden. Letztere kann sich qualitätssichernd auf die Bautätigkeit auswirken.
  • Anhand ausgewählter Gebiete in den Städten Thun und Biel hat sich gezeigt, dass informelle Simultanverfahren entscheidende Impulse für die Weiterentwicklung des gemeinnützigen Siedlungsbestandes geben können. Der Testplanungsprozess stellt eine bewährte Form solcher Verfahren dar, welcher sich auch zur Weiterentwicklung von Wohnbaubeständen in Schwerpunkträumen eignet. Dabei können ergänzende partizipative Elemente dem Verfahren eine breitere gesellschaftliche Abstützung geben. Der Initiierungsphase solcher Prozesse ist besondere Aufmerksamkeit zu schenken.
  • Neben dem Einsatz massgeschneiderter Planungsverfahren stellen eine enge Kooperationskultur zwischen Behörden und gemeinnützigen Bauträgerschaften sowie eine gezieltere Anreizsetzung bei Wohnbaufördermassnahmen Ansatzpunkte zur stärkeren Aktivierung der Potenziale im Bestand dar. Durch die konsequentere Verknüpfung planerischer Eingriffe mit bodenpolitischen Massnahmen, wie die rechtliche oder vertragliche Festlegung von Mindestanteilen gemeinnütziger Wohnangebote bei Ein-, Auf- und Umzonungen oder die aktive Bodenpolitik der öffentlichen Hand, eröffnet die Innenentwicklung gleichzeitig Spielräume, um den gemeinnützigen Sektor bei der Erschliessung neuer Entwicklungspotenziale neben der Bestandesverdichtung künftig wirksam zu unterstützen.

Insgesamt verdeutlicht die Arbeit den Beitrag und das Potenzial des gemeinnützigen Wohnungsbaus zur Umsetzung der Innenentwicklung, wobei sowohl quantitative wie auch qualitative Aspekte von Relevanz sind. Diese Aspekte gilt es bei der Beurteilung von volkswirtschaftlichen Effekten der Wohnbauförderung zu berücksichtigen. Für eine künftig noch dezidiertere Ausschöpfung des Potenzials kommt der Raumplanung eine Schlüsselrolle zu.
 

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